Mittwoch, 20. Juli 2011

Wetterauer Geschichten Teil3

Zurück in der Wetterau! (3)

In Willy’s Pub in Bad Nauheim wird in diesem Jahr der 35. Geburtstag gefeiert (des Pubs, nicht Willys). Dort trinke ich regelmäßig meinen Barbera und lese Manuskripte oder Bücher. Ab und zu treffe ich Freunde. Es ist also das, was man als meine neue Stammkneipe bezeichnen könnte.

In Friedberg habe ich bisher keinen solchen Ort gefunden. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich in meinem früheren Leben jeden freien Abend im Lascaux verbrachte, mit dem es bis heute kein Etablissement aufnehmen kann. Gewiss, es waren andere Zeiten und ein Vergleich fällt schon auf Grund der Übersetzungsprobleme schwer, denn die Stimmung im Lascaux war damals nicht cool, sondern dufte.

Meine geliebte Stammkneipe befand sich in einem Keller in der Kleinen Klostergasse. Da es offiziell ein Club war, ging man nicht einfach hinein, sondern drückte zuerst einen verklebten Klingelkopf, neben einem silbernen Schild, das mit der Aufschrift „Off Limits“ versehen war. Ein Brummton ertönte, man drückte die schwere Stahltür auf, ging die Stufen hinab und öffnete den schweren, von Zigarettenrauch und Staub durchtränkten Vorhang. Im nächsten Augenblick stand man im Paradies der Siebziger Jahre: Musik und Qualm, ein Wirrwarr von Gesprächen und Gelächter, das Klopfen der Würfel in den Bechern der Mäxchenspieler, das Klirren der Biergläser und die alles übertönenden Bestellungen der Gäste: „Norbert, machst du mir noch ein Bier?“


Natürlich gab es auch Höhlenzeichnungen im Lascaux: gewissenhaft eingeritzte Kopien der gleichnamigen Höhle in Südfrankreich. Sie vermittelten eine Atmosphäre der Zeitlosigkeit, die sich auch auf unser Trinkverhalten auswirkte. Denn konnte man heute nicht zahlen, so musste man das auch morgen nicht tun. Doch am Ende des Monats wurden dann die vielen Striche auf dem Deckel zusammengerechnet und die Rechnung wurde beglichen. Oft ging dies nicht, ohne Abschied zu nehmen von liebgewonnenen Dingen, die man zu Geld machen musste. So besitzt mein Bruder noch heute eine beachtliche Briefmarkensammlung, zahllose LPs und auch meinen Chemie-Experimentierkasten. Doch wir sangen Live for Today, denn unser Frontallappen war ja noch nicht vollständig ausgebildet. Meine Freundin hatte das damals mit dem überall eingeritzten Carpe Diem nicht ganz verstanden – sie glaubt bis heute, es bedeutet „Warnung vor dem Hund“.

In jenen Tagen war das Lascaux proppenvoll. Wir quetschten uns durch die engen Gänge zwischen der Bar und den mit Fellen bedeckten Bänken und Holzklötzen in die hinteren Räume. Teenager tümmelten sich neben älteren Semestern, wie Klaus Adomeit aus Fauerbach, der freizügig selbstgedrehte spendierte und uns vom Krieg erzählte. Man quetschte sich mit einem freundlichen, aber bestimmten „Rück’ mal“ auf die Sitzbänke, meist zunächst nur mit halbem Hintern. Im Laufe des Abend schob man sich dann bei jeder Gelegenheit weiter, bis man in Reichweite eines der kleinen Holztische war und an existentiellen Diskussionen oder einem Mäxchen-Spiel teilnehmen konnte. Gewürfelt wurde jeweils um ein Glas Apfelkorn, das, einmal geleert, in die der früheren Gewinner gestapelt wurde. So füllten zu fortgeschrittener Stunde architektonische Meisterwerke die Tische in Form von Türmen aus leeren Gläschen, die sich bedrohlich zur Seite neigten, je mehr sie anwuchsen. Man verharrte den Rest des Abends in einem Mikrokosmos, in den die Außenwelt nur ab und zu eintauchte. Die etwas lautern Stücke der Easy Rider LP waren ab und zu auszumachen, den Rest erdrückte das Stimmengewirr. Doch gab es manchmal – urplötzlich – auch ruhige Momente, in denen die Musik vernommen werden konnte. Dann ergriffen wir umgehend die Gelegenheit, Don’t Bogart That Joint, my Friend mitzusingen.


Wir befanden uns zwar schon im Keller, doch es ging noch tiefer hinab. Und in just diesem sous-sous-sous Terrain fanden die Sessions statt. Auch ich brachte hin und wieder meine Gitarre mit. Da saßen der Schlumpf und Stefan Schreckenberger, der Obi ohne Schlagzeug und viele andere, derer Namen ich mich nicht erinnere. In den vollkommen verqualmten neun Quadratmetern hörte man manch ganz passable Darbietung, doch auch grottenschlechte Interpretationen. Das störte aber niemanden und als das sous-sous-sous Terrain wegen feuerpolizeilicher Beanstandungen geschlossen wurde – es wurde nicht nur geschlossen, sondern regelrecht verbarrikadiert – prosteten wir oft mit Wehmut dem Bretterverschlag zu, hinter dem die Treppe zum paradise lost begann.  

Später wurde es dann immer ruhiger in meiner Stammkneipe. Man konnte die Musik klar und laut hören und fuhr erschrocken zusammen, wenn der Klingelton ertönte. Dann sah man gebannt auf den schweren Vorhang, um zu sehen, wer sich in diesem Keller verlaufen hatte. Oft erschienen die Figuren nicht ganz – ein paar Hände und Arme waren zu sehen, die den Vorhang ein wenig beiseite schoben, ein Kopf, der kurz um die Ecke blickte, und dann schnell wieder verschwand. Meine Teenagerzeit endete und auch die Lascaux-Tage waren Ende der Siebziger bereits gezählt, als ich Friedberg verlies. Die letzten Wehen und die endgültige Schließung bekam ich nicht mehr mit.

Vor zwei Wochen ging ich durch die Kleine Klostergasse. Der ehemalige Eingang war nicht wiederzuerkennen. Kein „Off Limits“-Schild, kein Anhaltspunkt. Waren es wirklich nur drei Schritte bis zur Strasse? Nein. Haben wir uns damals durch diesen dunklen, engen Gang zur Eingangstür vorgetastet? Hm. Das einzige Licht, an das ich mich erinnern kann, waren die allabendlichen blauen-weißen Scheinwerfer der Jeeps: die MP versuchte, mehr oder weniger erfolgreich, ihre GIs von gewissen Etablissements fernzuhalten. Ohne Zeitmaschine kann ich diese Fragen nicht mehr beantworten. Doch als alter Pfadfinder vermute ich, dass wir weder auf Licht noch Wegweiser angewiesen waren – wir folgten unserer Nase.

Damals konnte man seine Stammkneipe sogar im Dunkeln finden.

Susie Vrobel, Juli 2011


4 Kommentare:

  1. Genau so erinnere ich mich auch an meine Zeit im Friedberger Lascaux!

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  2. Genauso erinnere ich meine Zeit im Friedberger Lascaux!

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  3. Hallo Susie,

    wir haben bei Wer Kennt Wen (WKW) eine Gruppe "Lascaux Friedberg" (es gibt auch eine für Bad Nauheim).

    Ich würde gerne einen Link auf diesen Artikel einstellen, wenn ich das darf und du nix dagegen hast.

    Wenn du willst, kannst du mir mailen unter messerjosef@yahoo.de oder noch besser der Lascaux-Gruppe beitreten.

    Gruss Josef

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  4. Das iss ja nu gut 40 Jahr her, als ich das erste Mal im Lascaux war. Das letzte Mal muss so vor gut 30 Jahren gewesen sein.

    Hab mich sehr gefreut, auf diesen Artikel gestoßen zu sein. Es lebe die Nostalgie! Wenn ich mal wieder nach Friedberg komme, werde ich dem Burggarten ganz sicher auch mal wieder nen Besuch abstatten. War ne schöne Zeit dort in den frühen 70ern.

    Grüße aus Thailand

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