Sonntag, 7. August 2011

Wetterauer Geschichten Teil6

Zurück in der Wetterau (6)

Neulich kaufte ich bei Rewe in Bad Nauheim Getränke für meine Geburtstagsparty ein. Nachdem ich bezahlt hatte, überreichte mir die Kassiererin wortlos einen Stapel Papiertütchen mit bunten Tierbildern. Sie bemerkte meinen verwunderten Blick und raunte: „Fürs Album!“ Ich bedankte mich und packte sie ein. Sie liegen noch immer ungeöffnet irgendwo auf meinem Schreibtisch. Denn heute bin ich immun gegen das Sammelfieber.

Das war nicht immer so. 1970 erlag ganz Friedberg – inklusive Susie Vrobel – dem Charme eines neuen Produkts. Das Objekt der Begierde war ein Tütchen mit Americana-Bubblegum und 3 Klebebildern, das wir für 10 Pfennig im Lekkerland in der Haagstraße gegen unser Taschengeld eintauschten. Das Album gab es gratis dazu. Wir öffneten die Tütchen und pressten sofort unsere Nasen auf die Bilder, die einen unwiderstehlichen Geruch ausdünsteten. Ich nehme an, es war eine Mischung aus Spearmint und Formaldehyd. Nach dem Inhalieren kauten wir den Bubblegum und verstauten die Bilder vorsichtig in der Hosentasche.

Unsere Sammelalben füllten sich schnell, doch nach ein paar Wochen hatte ich einen beträchtlichen Überschuss an Kaffernbüffeln. Die waren aber prakisch nicht mehr tauschbar, da alle anderen Kinder zu Hause ebenfalls Stapel von Kaffernbüffeln und Alligatoren horteten. Und egal, wie oft wir uns neue Tütchen erquengelten, die Verteilung der Fauna war höchst unausgeglichen: In meinem gesamten Bekanntenkreis fehlte allen die Zirkade – ich glaube, Americana hat nie mehr als 2 Exemplare dieses Abziehbildchens gedruckt.

Und so hatte jedes Kind 1971 ausgebeulte Hosentaschen, aus denen die Klebebildchen bei jeder Gelegenheit sofort griffbereit herausgezaubert wurden. Im Pausenhof war nicht genug Zeit, uns so verlagerten wir die Tauschbörse in den sonntäglichen Kirchenbesuch. Mein Bruder und ich waren zwar nicht fromm, aber wir gingen fast ein ganzes Jahr hin, weil meine Oma es so wollte – sie war besorgt, wir könnten als Heiden aufwachsen. Was das genau war, wußte ich zwar nicht, aber ich fügte mich gern, da wir nun in aller Ruhe unseren Tauschgeschäften nachgehen konnten.

Für Außenstehende müssen wir damals sehr fromm gewirkt haben. Doch unsere Köpfe waren nicht in Demut geneigt, sondern über die Stapel von Klebebildern. Und das kaum wahrnehmbare mantra-ähnliche Gemurmel der 9-jährigen in der hinteren Reihe war bei näherem Hinhören auch kein Rosenkranz-Gebet – wenn es auch sehr repetitiv klang - sondern: „Hab’ ich, hab’ ich, hab’ ich, ….hab ich nicht!“ So kam es doch zur ein oder anderen Erweiterung der Sammlung, doch die Zirkade habe ich niemals gesehen.

Die Friedberger Esso Tankstelle war damals ein weiterer Quell der Sammlerwut. Die Alben waren nicht einfach mit Heftzwecken zusammengetackert, wie die Americana-Vorläufer, sondern ordentlich gebunden und mit einem Hochglanz-Einband versehen. Ich war stolze Besitzerin dreier Alben: Tiere, Tierkinder, und Hans Hass: Vorstoß in die Tiefe (ohne Monster). Eine ganze Generation von Schulkindern brachte damals ihre Eltern und Großeltern dazu, von Shell auf Esso umzusteigen.

Doch Esso hatte noch mehr zu bieten: Anfang der 70er bekam man pro 20 Liter Benzin ein Tütchen mit Briefmarken aus aller Welt. Sie waren, glaube ich, nicht gestempelt und riefen in uns ein nie gekanntes Fernweh hervor. Da gab es dreieckige Marken aus der Zentralafrikanischen Republik und auch kleine blaue aus Mauritius, die allerdings keine müde Mark wert war. Aber man konnte ja nie wissen, und so verglichen wir vorsichtshalber unsere Schätze mit den Abbildungen im Sammlerlexikon. Ich weiß bis heute nicht, wie die Shell-Tankstelle gegenüber diese Zeit überlebt hat.

Meine Sammlerwut nahm in der Pubertät jedoch ein abruptes Ende, da es von nun an aufregendere Dinge zu beäugen gab. Das war auch gut so, denn so konnte ich mich leichten Herzens von den Briefmarken trennen, als ich sie meinem Bruder verkaufte, um meinen Deckel im Lascaux bezahlen zu können.

Heute stapeln sich in meinen Schubladen weniger ansprechende Sammlungen: die Kontoauszüge der letzten Jahre und Quittungen für den Steuerberater.

And so it goes …

Damals sammelten wir noch etwas Vernünftiges.


Susie Vrobel, August 2011