Dienstag, 19. Juli 2011

Wetterauer Geschichten Teil1

Zurück in der Wetterau! (1)


„Ein Eichhörnchen!“
„Wo denn?“
„Da! Da! Da!”
“Ich hab’s sogar ohne Brille geseh’n!”

Ich bin wieder hier. Nach einem viertel Jahrhundert. Die Kurgäste schieben ihre Rollatoren energisch in Richtung Schweizer Häuschen. Die erste Rast des Tages. Bei einem Eiscafé werden die Neuigkeiten über das neue Hüftgelenk ausgetauscht. Gnädig legt sich die Melodie des Querflötenspielers über die blutigen Details. „Midnight“ aus dem Musical „Cats“. Der Musiker ist fester Bestandteil des Kurparks, so wie die Eichhörnchen und Paddelboote. Letztere sehen allerdings nur diejenigen, die die weiteren 300 Meter zum Teichhaus meistern.

Das Teichhaus ist ein kleines Restaurant direkt am See. Es kommen schon lange keine wohlbetuchten Araber mehr und der letzte Besuch der russischen Zarenfamilie liegt nun schon ein Jahrhundert zurück. Das neue Klientel nutzt die Gelegenheit, die mühsam erkämpften Erfolge der ReHa mit einem Schnitzel Wiener Art zunichte zu machen.

Ein Kraxeln ertönt, zunächst leise, kaum bemerkbar. Niemand scheint sich daran zu stören. Doch es hört nicht auf, wird bedrohlich lauter und lauter. Ich drehe mich um und erkenne im Augenwinkel eine Rotte Nordic Walkers, die sich ihren Weg über die neu angelegten Pfade bahnt wie Colonel Hathis Frühpatrouille aus dem Dschungelbuch. Mit einem gewagten Sprung in die Grünanlagen bringe ich mich in Sicherheit. In Kassel hatten wir uns noch über diese neue Spezies amüsiert: Ach, die Armen – einmal eingekehrt uns schon die Ski geklaut. In Bad Nauheim fühlt man sich ohne Sticks fast nackt.

So bin ich denn wieder angekommen, nackt und waffenlos, ohne Rollator oder Walking Sticks. Seit ich meinen 50sten Geburstag hier gefeiert habe, schiele ich zur Inspiration auf die Gepflogenheiten der jüngeren Bad Nauheimer. Oder besser: der etwas jüngeren. Von meinem Fenster aus sehe ich auf die Usa und die Zanderstrasse, auf der allabendlich Mitt-Vierziger waghalsige Pirouetten auf ihren Roller Blades vollführen. Lieber nicht. Kurz darauf erscheint eine nicht enden wollende Reihe Sedgeways, gesteuert von darauf regunglos verharrenden Gestalten – eine grotesk anmutende Parade versteinerter Kurgäste. Auch nicht das Richtige. Im Gegensatz zu den Aufgeboten der Zanderstraße zeugen die in Zeitlupe ausgeführten Schläge der Minigolfer im Kurpark von einer fast atemberaubenden Wendigkeit. Ich bin noch immer auf der Suche.

So ist das, wenn man zurück kommt. Es ist jedoch keine Pinteresque Erfahrung, und auch die klassische homecoming Thematik trifft nicht zu. Denn der Großteil der Kleinstadt hat das letzte Vierteljahrhundert fast unverändert überdauert. Das Dolomiti Eiscafé auf der Parkstrasse hat noch immer den gleichen Schriftzug wie in den Sechziger Jahren, nur das Sortiment ist etwas angewachsen. Willi’s Pub feiert mittlerweile den 35. Geburtstag. Seit den Siebzigern spielt man hier die gleiche Musik – eine nostalgische Mischung, so ähnlich wie damals im Friedberger Lascaux. Das war eigentlich meine Stammkneipe, auch wenn wir hin und wieder bei Willy in Bad Nauheim einkehrten.

Ach ja – genaugenommen bin ich Friedbergerin, aber da der Wetterauer Mikrokosmos sehr überschaubar ist, habe ich nie so genaue Grenzen gezogen. In Friedberg sind die Veränderungen auffälliger. Vergeblich suchte ich das Salamander Schuhgeschäft auf der Kaiserstrasse. Dort wurde uns damals mit einem Lurchi-Heftchen das langwierige Anprobieren der neuen Halbschuhe erträglich gemacht. Weg. Auch der Fisch-Umsonst ist Geschichte. Manch langer Angelausflug in den Siebzigern endete dort für mich, um die Verwandschaft geschickt über das ausgebliebene Petri Heil hinweg zu täuschen. Die Schule, an der ich zu eben dieser Zeit die Nerven vieler Pädagogen einem Reißtest unterwarf, sieht von vorn noch immer genauso zeitlos aus wie damals. Roter Buntsandstein, die schwere Tür und die Plakette mit der Aufschrift „Augustinergymnasium“. Nur ein Blick um die Ecke gibt die neuen Gebäude preis.

Auch die wunderbar riechende Schillerlinde: zu. Gibt es noch eine Tanzschule im Hotel Trapp? Herr und Frau Wiedemann schickten mich in meiner ersten Tanzstunde gleich wieder nach Hause, da man – da waren sie ganz sicher – nicht in Clogs tanzen lernen konnte. Ich verwies auf die Holländer, die es doch auch zu einer ganz passablen Kultur gebracht hatten, aber es nützte nichts. Wieder neue Schuhe. Diesmal ohne Lurchi-Heftchen. Fortan wurden wir von jenem Paar der Tanzkunst unterwiesen. Praktisch sah das so aus, dass man den ganzen Abend versuchte, den weniger attraktiven Jünglingen, die sich dort en masse versammelt hatten, zu entkommen. Wurde man jedoch einmal zum Tanz aufgefordert, war alles zu spät. Das gebot  - so Wiedemann – die Etiquette. Und dann kam man wieder in den Genuss der hiesigen männlichen Kommunikation: „Ich heiße Andreas und komme aus Ossenheim. Mein Hobbies sind Schwimmen, Briefmarken sammeln und Tanzen.“ Da musste man durch.

Früher war halt alles besser.

Susie Vrobel (Kurstätterin)
Mai 2011

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