Mittwoch, 7. Dezember 2011

Wetterauer Geschichten Teil10

Zurück in der Wetterau (10)

Es weihnachtet in Bad Nauheim und die Menschheit wird großzügig. Neuerdings bekomme ich beim allwöchentlichen Einkauf meines Kaffees bei Tschibo eine bunte Sondermarke dazu „gratis“. Kostenlos sei sie, erklärte mir die freundliche Dame hinter dem Tresen: im Kaffeepreis enthalten. Und es sei für einen guten Zweck: 45 Cent fließen direkt in das Mount Kenya Project. So einfach ist es, eine gute Tat zu verbuchen (die ich als alte Pfadfinderin natürlich täglich verrichte). Ich lasse mich nicht lumpen und horte nun bunte Umschläge mit 55 Cent Marken.

Anfang der Siebziger waren gute Taten etwas aufwändiger, denn man musste meist mit vollem körperlichen Einsatz den Weihnachtsbasar unterstützen. Damals flossen unsere Einnahmen allerdings nicht mehr an Biafrakinder, sondern, unter anderem, in die Vereinskasse des VCP, die so unsere Sommerlager subventionierte. In wochenlangen Bastelorgien zur Adventszeit entstanden so mehr oder weniger nützliche Dinge, die wir alljährlich zur Weihnachtszeit an unserem VCP Stand vor der Schillerlinde für einen guten Zweck unter die Menschheit brachten.

Und da die Wetterauer ein spendierfreudiges Volk sind, schmückten unsere Werke nun bald die Wohn- und Schlafzimmer der Region. Und wenn sie noch nicht entsorgt sind, so leben sie heute noch. Schauen Sie mal in ihrem Keller nach, vielleicht finden Sie dort das ein oder andere Ergebnis unserer Bastelwut: Strohsterne, ein verfärbetes Batik-T-Shirt oder eine Kordellampe?

Kordellampen waren Anfang der Siebziger die Wetterauer Antwort auf Akari-Leuchten. Ein schlichtes Lampenmodell, das man leicht in Heimarbeit mit einem Wasserball, einer Kordel und etwas Kleister herstellen konnte. Man blies den Wasserball auf und begann, die Kordel so lange kreuz und quer um den Ball zu wickeln, bis er beinahe nicht mehr zu sehen war. Dann pinselte man Kleister darüber und ließ das Ganze trocknen. Nach ein paar Tagen ließ man dann die Luft aus dem Ball, zog ihn vorsichtig an einem Ende heraus und entfernte den überschüssigen Kleister.

Leider entpuppten sich einige Modelle als nicht wärmeresistent, und so geschah es, dass sich das Schmuckstück oft in Wohlgefallen auflöste. Die ersten Kordelstücke, die die Schwerkraft unbarmherzig in Richtung Teppich zog, versuchte man noch – mehr oder weniger erfolgreich –  wieder anzukleben. Doch es kam der Zeitpunkt, an dem man entnervt die Überreste in einem Karton verstaute und in den hintersten Winkel des Kellers verbannte (wegwerfen ging nicht, denn es war ja selbstgebastelt).

Auch die T-Shirts, die wir zunächst liebevoll mit Wachs beträufelten, zusammenschnürten und dann in Eimer mit gelösten Farben tauchten, erwiesen sich als nicht ganz pflegeleicht. So nahm oft der gesamte Inhalt einer Waschmaschine die Regenbogenfarben unserer Batikkreationen an. Da half meist auch kein Entfärber mehr und das Ergebnis trug nicht gerade zur Weihnachtsstimmung bei.

Doch die kam vor dem Weihnachtsbaum schnell wieder auf, wenn das alljährliche Entwirren des Kabels der Lichterkette anstand. Zu diesem Zeitpunkt war das Gröbste bereits überstanden, denn der Baum stand nun endlich fachmännisch fixiert in einer Ecke des Wohnzimmers.

Der selbst gefällte Baum. Jedes Jahr fuhren wir mehr oder weniger direkt in den Wald (die Karten halfen nicht wirklich zur Orientierung) um den schönsten Weihnachtsbaum auszusuchen, zu fällen, und dann auf dem Autodach nach Hause zu transportieren. Kleinere Hindernisse bewältigten wir mit Bravour und wenn wir auch oft vollkommen verdreckt unser Ziel erreichten (die Reifen drehten meist durch, wenn wir den festgefahrenen Wagen aus dem Schlamm befreiten), schritten wir, einmal angekommen, würdevoll am Förster vorbei in die Tiefen des Taunus.

Nach vollendetem Werk bezahlten wir den Baum und zurrten ihn am Dachgepäckträger fest. Das lief nicht immer ganz glatt, denn ich erinnere mich noch genau an den Abend, and dem ich innerlich schon damit abgeschlossen hatte, Weihnachten wohl im Auto verbringen zu müssen. Einer der Insassen fixierte den Baum auf dem Autodach, indem er die Fenster öffnete, die Spanngurte hinduch und fest zog, so dass die Klemmschnalle sich weiter und weiter Richtung Autodach schob. Es war Zeit, loszufahren. Doch leider war der Autoschlüssel im Mantel meines Vaters, und der war sicher im Kofferraum verstaut. Raus konnten wir nicht mehr, denn die Klemmschnalle war nun unerreichbar irgendwo auf dem Autodach. Es wurde langsam dunkel und ich begann, laut um Hilfe zu rufen. Nach einigen gefühlten Ewigkeiten erschien unser Retter: ein Förster, der kopfschüttelnd den Kofferraum öffnete und uns den Mantel durchs Fenster reichte. Wir bedankten uns recht herzlich und fuhren nach Hause. Aussteigen konnten wir dort leider immer noch nicht, aber einige besorgte Nachbarn befreiten uns bald aus unserer misslichen Lage.

Nun mochte man schon triumphieren: „Wir sind noch mal davon gekommen“, aber ganz so einfach war Weihnachten nicht. Denn nun musste der Baum aufgestellt werden. Ein stabiler Christbaumhalter galt damals als kitschig und verpönt, und so stellten wir den Stamm in eine Dose mit Wasser. Der Baum stieß zwar an die Zimmerdecke und war so halbwegs stabil, doch es bedurfte noch einiger Nylonfäden, um ihn sturzsicher zu machen. Dann wurde er von allen begutachtet: „Sehr schön …“. Doch schon nach kurzer Zeit kam meine Mutter meist zu dem Entschluss, dass der Baum schief stand. Also schob sich mein Vater, flach auf dem Teppich, in Richtung Stamm und Dose, um jene zurecht zu rücken um dem ästhetischen Urteil meiner Mutter zu genügen. Auch wenn mir die Bilder noch klar vor Augen sind, weiß nicht mehr, wie oft es passierte … aber ich erinnere mich an Weihnachten, an denen wir meinen Vater drei Mal unter dem umgestürzten Baum hervorziehen mussten. Es wurde nie langweilig im Ulmenweg.

So bin ich froh, nicht mit ereignislosen Weihnachten aufgewachsen zu sein – bei uns war immer etwas los.

So schön wird Weihnachten nie wieder …

Susie Vrobel, Dezember 2011