Sonntag, 11. September 2011

Wetterauer Geschichten Teil7

Zurück in der Wetterau (Teil 7)

„Die Gesichtsfarbe ist nicht natürlich. So gelb-stichig.“
Ich werfe einen Blick auf mein Passbild. Eindeutig ich.
„Das können wir nicht nehmen.“
Die Tatsache, dass das gleiche Passfoto in meinen anderen Ausweisen ohne Beanstandungen eingeklebt wurde, hilft nicht. Also lasse ich beim Porst um die Ecke ein neues Photo aufnehmen und komme mit dem frisch ausgedruckten Bild zurück zum Bürgerbüro Bad Nauheim.
„Sieht dies mir ähnlich?“
Die Dame scheint zufrieden, legt es zu den Akten und ich atme auf. Nein, ich hatte nicht vor, diplomatische Immunität zu beantragen, sondern lediglich meinen Fischereischein erneuern zu lassen.

Manche Dinge ändern sich nie. Die deutsche Bürokratie ist alive and well. Mitte der Siebziger wurden mir im Rathaus der Stadt Friedberg bereits die ersten Weichen gestellt. Ich hatte vor, in meinem Reisepass meinen Künstlernamen eintragen zu lassen. Das war mehr als notwendig, da man damals – wie jeder wusste – „Susi“ mit „z“ und „y“ schreiben musste, um auf dem internationalen Parkett bestehen zu können. So wie Suzy Quatro. Eine Kleinigkeit – dachte ich. Doch der Herr im Amtszimmer stellt sich quer: „Sie müssen eine bekannte Persönlichkeit sein wie … wie …“  Er überlegte einen Moment: „… wie Annliese Rothenberger.“ Ich wurde blass um die Nase: es gab auch damals keine gemeinsame Gesprächsgrundlage.

Ob diese Behördenwillkür dazu beitrug, dass ich nie ein Rock-Star wurde, weiß ich nicht. Ich habe auch keine weiteren Versuche unternommen, den Herrn vom Amt zu überzeugen, denn die Furcht, dass ich als Künstlerin in einem Atemzug mit Anneliese Rothenberger genannt werden könnte, drehte mir den Magen um. Was tun? Ich konnte schlecht warten, bis die Dame den Löffel abgeben würde. Es musste noch andere Wege geben.

Ich sah mich nach neuen Wirkungskreisen um, und so küßte mich eines Tages jäh die Muse der bildenden Kunst. Meine erste Vernissage fand im Atelier Koppenhagen in Friedberg statt. Es war ein netter Abend mit Buffet und Gesangseinlagen – nicht nur viele alte Freunde kamen, sondern auch meine Großeltern. Mein Oma wusste zwar nicht genau, worum es bei einer Vernissage ging, aber sie amüsierte sich gut und konzentrierte sich hauptsächlich auf das Buffet. Es erschien ihr nicht schicklich, herumzulaufen und die Ausstellungsobjekte zu begutachten, uns so wurde mein Großvater heftig kritisiert. „Er läuft überall herum. So was von neugierig – wie ein Pudel!“ Lange nach Mitternacht, als vom Buffet nur noch ein paar Krümel übrig waren, fand sie, es sei nun an der Zeit zu gehen. Beim Verabschieden sah sie sich kurz um und fragte mich: „Hast du die gemalt?“

Die meisten Austellungsstücke jener Vernissage haben heute das Zeitliche gesegnet, da sie diverse Umzüge nicht überstanden haben. So sind mein Freischwinger-Stuhl mit Teddyarmen, mein kangaroo waiter und der Attraktor-Spiegel heute Geschichte. Aber es gab auch ermunternde Worte und ich habe an diesem Abend sogar zwei Bilder verkauft. Das erste an meinen Freund Loschi und das zweite an einen mir unbekannten Rechtsanwalt, der es für seine Kanzlei vorgesehen hatte. Letzteres war eigentlich eher ein Unfall. Damals waren Leinwände sehr teuer und ein misslungenes Bild wurde häufig übermalt. Bei besagtem Werk hatte ich bereits zum zweiten Mal die Farbe unter dem laufenden Wasserhahn mit einem Spülschwamm abgekratzt, als ich plötzlich Gefallen an dem übrig gebliebenen Gemisch auf der Leinwand fand. Das Kunstwerk hängt wahrscheinlich immer noch in einer Friedberger Kanzlei.

Und wenn eines Tages in ferner Zukunft Schüler eine Werkanalyse dieser nicht-ganz-abgeschrubbten Leinwand vornehmen müssen, hoffe ich, dass ich aus fernen Gefilden dieses hoffnunglose Unterfangen amüsiert beobachten kann. So hätte ich die gefürchtete Anneliese-Rothenberger-connection elegant umgangen und wäre – wenn auch nicht als Rock-Star – bei dem Herrn im Rathaus legitimes Beispiel für einen Künstlernamen. Sehr zum Entsetzen der neuen Generation.

Damals hatte man noch Geschmack.


Susie Vrobel, September 2011