Donnerstag, 13. Juni 2013

Wetterauer Geschichten Teil 17

Zurück in der Wetterau (Teil 17)

Die blauen Flecken auf meinem Kinn und Arm erwecken das Interesse meiner Mitbürger. Nein, ich war nicht in eine Schlägerei verwickelt – die Balkontür kam mir durch einen unvorhergesehenen Luftzug jäh entgegen und erwischte mich kalt.

Anfang der Siebziger Jahre hätte mich kein Mensch gefragt, woher die Blessuren stammen, da wir damals alle so lädiert aussahen. Der Grund war ein neues Spielzeug, das in Windeseile alle Schüler des Augustinergymnasiums infizierte: Es hieß – onomatopoetisch – „Klack-Klack“ und bestand aus zwei harten Kunststoffkugeln, die durch eine Schnur verbunden waren. Man legte den Ring in der Mitte der Kordel über den Mittelfinger und ließ die Kugeln – zunächst langsam – aufeinander prallen, indem man die Hand rhythmisch auf und ab bewegte. Das Ganze wurde nach ein paar Sekunden so schnell, dass sich die Klack-Klack Kugeln auch in Kopfhöhe trafen (daher die blauen Flecken am Kinn) um daraufhin wieder herunterzuschnellen (um auf unsere ungeschützten Unterarme zu treffen). Auch wenn sich das Verklagen von Herstellern in den Siebziger Jahren noch nicht zum Volkssport etabliert hatte, verschwand das Spiel nach kurzer Zeit aus den Regalen, nachdem es an vielen Schulen verboten wurde. Das nützt aber nichts, da wir ja mittlerweile alle stolze Besitzer des neuen Gimmicks waren.




Als ein Nachbarsjunge beide Schneidezähne verlor, nickten viele Erwachsene bedeutungsvoll, hatten sie es doch schon immer gewusst: das Teufelszeug war an allem Schuld. Doch der besagte Junge – nennen wir ihn P. – wurde Opfer unseres Forscherdrangs. Wir entzündeten die Lunten einiger Feuerwerkskörper und warfen sie in einen Mülleimer, um zu sehen, wie laut es scheppern würde. Damals waren die Mülltonnen, samt Deckel, noch aus Stahl und nachdem eine Weile nichts passierte, beugte sich P. über den Eimer, um nachzusehen. Die Explosion erfolgte innerhalb eines Sekundenbruchteils und riss den Deckel hoch. Der Rest ist Zahnarztgeschichte.

Auch die großen Kosmos-Chemiekästen erfeuten sich außerordentlicher Beliebtheit in dieser Zeit. P. hatte eigentlich großes Glück, denn er konnte sich nach der heftigen Explosion in seinem Zimmer noch aus auf allen Vieren herausrobben. Seine beiden Wellensittiche jedoch – sie hießen Jakob und Sarah und waren mir wohlbekannt, da sie vor den Kosmos-Zeiten auch oft auf meinem Kopf landeten – wurden auf Grund der erstaunlichen Gasentwicklung jäh ins Vogel-Jenseits befördert.

Wo war ich? Ach ja: Der novelty effect der Klack-Klacks verblasste bald mit dem Erscheinen der neuen Foltergeräte aus den Yps-Heftchen, und so wanderten die Kugeln entweder für immer in den Keller oder wurden zeitnah von genervten Eltern entsorgt.

Of hört man, dass die Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts einen craze nach dem anderen hervorbrachten. Glauben Sie mir – die Siebziger Jahre standen den roaring twenties in nichts nach. Als Mitte der Siebziger die Yps-Heftchen auftauchten, befand sich in jeder Ausgabe mindestens ein Gimmick für angehende Spione und Abenteurer.

Die Fingerzerhackmaschine musste man selbst zusammen bauen – es war eine kleine Guillotine aus Plastik mit einer richtigen Klinge. Baute man diese nicht richtig herum ein, so endeten die Vorführungen in einem – wenn auch überschaubaren – Blutbad. Charles, ein etwa 10-jähriger Wölfling, hatte Glück, denn er wurde von uns Scouts umgehend fachmännisch verarztet. Zum Überlebenstraining rüstete uns Yps mit Lupen, Abhörgeräten und vielerlei nützlicher Dinge aus. Noch heute habe ich mein Überlebenspack für die Wüste, da ich ihn nie benutzt habe: ein Beutel Kabapulver, der in zwei übereinander gleitenden Plastiktaschen sandsturmsicher verpackt war. Zur Sicherheit sollte er unter dem T-Shirt an einer Schnur um den Hals getragen werden. Ich habe mich oft gefragt, woher ich in der Wüste denn die Milch nehmen sollte, um den Plantagentrank schmackhaft anzurühren. Aber das waren eher kleinliche Gedanken, die einen wahren Abenteurer nicht abschrecken sollten. Sollte ich eines Tages in der Wüste Gobi einer Ziegenherde begegnen, bin ich gerüstet.

Ich glaube, der Selektionseffekt derer, die alle unfallträchtigen Spielzeuge dieser Zeit überlebt haben, wird oft unterschätzt. Die knallorangenen Hüpfbälle, die Boomerangs und Frisbees konnten meiner Generation nichts mehr anhaben. Die Pfadfinderlosung dieser Zeit hieß: „Was uns nicht tötet, macht uns nur noch stärker“. Ich habe nie herausgefunden, wer diesen dämlichen Satz formuliert hat.

Damals gab es halt noch pädagogisch wertvolles Spielzeug.

Susie Vrobel, Juni 2013




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