Freitag, 10. Mai 2013

Wetterauer Geschichten 15

Zurück in der Wetterau! (Teil 15)

Vivi Bach ist nicht mehr unter uns! Ich nehme die Nachricht mit Fassung auf, denn die Dame mit dem unvergleichlichen Akzent wurde immerhin 73. Anfang der Siebziger war ich ein Fan der Familienshow Wünsch Dir was, die die Verblichene an Dietmar Schönherrs Seite moderierte. Die Show sorgte regelmäßig für Aufregung und Gesprächsstoff auf dem Pausenhof. Einige meiner Mitschüler durften die Sendung nicht mehr anschauen, nachdem eine junge Dame in durchsichtiger Bluse auf dem Bildschirm erschien.

Es waren Zeiten, in denen man ohne nähere Differenzierung fragen konnte: „Hast du gestern ferngesehen?“ Und jeder wusste genau, wovon man sprach: Mama Hesselbach hatte ein Dreckrändchen am Sahnetopf entdeckt, den sie am Vorabend großzügig der Nachbarin geliehen hatte: „Ei gehnse fott – mir habbe doch genuch dadedevon!“. Gut, es gab zwar schon drei Kanäle, doch das Programm begann erst am späten Nachmittag mit der Kinderstunde und endete weit vor Mitternacht mit dem Testbild. Übersichtlich.

Hat meine Generation Schaden davon getragen, mit einem solch limitierten Schatz an medialem Entertainment aufzuwachsen? Schwer zu sagen – der Blaue Bock vor Heinz Schenks Pappkulisse hat wahrscheinlich das ein oder andere Neuronenensemble in den kollektiven Selbstmord getrieben. Und auch das Königlich Bayrische Amtsgericht rangierte weit oben auf der Liste der damaligen Verblödungskandidaten.

Doch bin ich mir sicher, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl meiner Generation durch die eingeschränkte Auswahl an TV-Sendungen gestärkt wurde. So teilt meine Generation noch heute die Weisheiten des Hasen Cäsar, der die Schlager für Schlappohren moderierte: „Bitteschööön!“ Meine ersten Erinnerungen an die Kinderstunde der Sechziger sind etwas verschwommen: “Turnikuti turnikuta, Zebulon ist wieder da!“ Wie öde Stoffel und Wolfgang waren fiel uns nicht weiter auf, da unsere Sehgewohnheiten nahtlos an das Zeitlupentempo der Sechziger angepasst waren.

Die Zwillinge Trevor und Tracy aus Please don’t Eat the Daisies konnte niemand auseinander halten. Doch das konnte man gut verdauen, denn sehr viel komplexer wurde das Programm nicht: Lieber Onkel Bill langweilte sogar die Grundschüler. Ein Lichtblick waren Flipper und Daktari, da sie uns die Fauna jenseits der Wetterau ins heimische Wohnzimmer katapultierten. Wir spielten die Abenteuer nach, doch keiner wollte die Rolle von District Officer Hedley übernehmen.  Fürs Urmeli waren wir eigentlich schon zu alt, aber ich verwette meine Ranch, dass fast alle 52-jährigen das Urmellied heute noch singen können.

Die Kulisse im Beatclub und anderen Musiksendungen erinnerte meist an eine Baustelle. Es war damals überaus schick, sich beim Singen durch Baugerüste zu schlängeln. Von Udo Jürgens sah man selten mehr als den Kopf und die ein oder andere Extremität, die hinter einem Querträger hervorlugte. Playing hard to get.  Ich habe nie den tieferen Sinn dieser   Baugerüste verstanden.

Die Printmedien waren ebenfalls mehr als übersichtlich. Noch heute kommen uns die lateinischen Zitate aus Asterix mühelos über die Lippen. Wer, wie ich, weder das kleine noch das große Latinum absolviert hatte, konnte sich doch wenigstens mit dem großen Asterix Abschluss schmücken.

Radio hörte man damals meist vor der heimischen Stereoanlage, die aus einem Plattenspieler, Kassettenrecorder und normalem Radio bestand (das Wort Tuner hatte damals noch niemand in den Mund genommen) und eine halbe Tonne wog, oder – mit fortgeschrittenem Alter – abends im Auto. Vor grauen Vorzeiten gab es in unserem VW Käfer ein Radio mit fünf weißlichen Tasten und zwei beigen Knöpfen, die mit einer gekonnten Umdrehung sämtliche Sender abdeckten. Die Auswahl war limitiert, jedoch fand man im den Amisender AFN Frankfurt ohne Hinzugucken – etwa bei 96. Casey Kasems countdown der Top 40 war ein must. Und wer in den Siebzigern erst Mittags aus den Federn fand, dem half Charlie Tuna, den Tag zu strukturieren. Doch in diesen Genuss kamen wir erst später, denn wir mussten natürlich gegen sieben Uhr dreißig das Haus verlassen, um uns rechtzeitig in der Augustinerschule in Stolle Willis Klasse einzufinden.

Doch der Sender hatte auch mehrere Programme zum Abgewöhnen auf Lager. Da war zum Beispiel die tägliche German Phrase of the Day – meist von limitiertem kommunikativen Wert: „Heute ist Ostermontag“. Wer am Samstag Nachmittag zum Autowaschen etwas Unterhaltung begehrte, der war erbarmungsloser Country-Musik ausgeliefert. My Kind of Country, my Kind of Music plänkerte den gesamten Nachmittag über den Sender.

Der Amisender begleitete mich noch während meines Studiums. So verdiente ich mir mit einem Detektivjob im Rohbau des Dolce ein paar Mark. Der Job war überaus angenehm und erlaubte mir, zwei Hausarbeiten in Linguistik und Literaturwissenschaft zu verfassen, während ich Charlie Tuna zuhörte und nebenbei natürlich gewissenhaft meinen Job absolvierte: auf einem Stuhl zu sitzen.

Stay tuna!

Früher war halt alles packender.

Susie Vrobel, Mai 2013

1 Kommentar:

  1. Früher hörte ich Luis Trenker beim Geschichtenerzählen zu, heute Harald Lesch ...
    Gruß Moses

    AntwortenLöschen